Bemerkungen zu Aquarellen von Sergius Pauser
Es bleibt immer in der Kunstgeschichte ein sehr problematisches Unterfangen, begreifen zu wollen, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Kunstlandschaft ein bestimmter Künstler plötzlich auftaucht, Höhepunkte erreicht und seine Werke als Spur seines Lebens hinterläßt. Es ist im letzten Warum auch kaum erklärlich, warum in der Aquarellmalerei sich eben zwei Zentren gebildet hatten: ein früheres in der englischen Kunst und ein späteres in Wien. Waren es dort die ganz unvergleichbaren Thomas Girtin und William Turner, Freunde wie Konkurrenten zugleich, die den Durchbruch zu einer neuen Malerei gebracht hatten, so gipfelte diese zarte und sensible Kunst von Wien in Peter Fendi und Rudolf von Alt. Eine neue Malerei ist in Wahrheit niemals ein zufälliges Auftauchen, sondern hat ihre Wurzel in einer Persönlichkeit und deren neuen Art, die Welt und sich selbst als Mensch in der Schöpfung zu sehen, zu erkennen, zu verstehen. So ist auch das Aquarell, wo immer es auftauchte, das Instrument einer besonderen Art zu sehen geworden. Es bedurfte der empfundenen Einsicht, daß die Natur nicht etwa aus einer Summe von Einzelgegenständen bestünde, die zu analysieren es genüge, um sie zu erfassen, sondern daß ihr Wesen ein Ganzes, ein miteinander Verwobenes sei, dessen eigentliche Realität im Unbegreifbaren bleibt. Die Kunst allein vermag sie in den Bereich des Sichtbaren zu bringen und jenem, der Augen hat, erkennbar zu machen. Da aber dieses Wesen auch durch ihre ununterbrochen fließende Vergänglichkeit bestimmt ist, durch den Wandel der Farben im Licht etwa, durch die Stimmung das Erlebenden selbst nicht minder, ist jenes Mittel am geeignetsten, das ohne jede langwierige Manipulation (wie sie etwa die Ölmalerei erfordert) zupacken kann. Da es aber weiters auch nicht um stehenbleibende, starre Formen und Farben geht, die durch Studien, Vorskizzen, Entwürfe immer wahrhaftiger würden, sondern vielmehr um Formen und Farben, die so beschaffen sind, daß sie sich dadurch ganz im Gegenteil von der Wirklichkeit immer mehr entfernen, ist auch die klassische Methode (die ehedem zu Claude Lorrains Zeiten schon genügend Verwunderung erregt hatte), nämlich vor der Natur sich Notizen zu machen, um diese dann im Atelier zum Kunstwerk zu „komponieren“, was soviel wie zusammensetzen heißt, unzulänglich – wenn man die Wahrheit, das ist immer die menschliche Emotion, sucht. So war es zum Ausgang des 18. Jahrhunderts in England eben zu diesen Naturmalern gekommen, die unter Landschaft viel mehr als Baum, Haus und Berg, nämlich Atmosphäre, Licht und Farbe verstanden. Das war die Stunde des rasch und (scheinbar!) so leicht entstehenden Aquarells. Erstaunlich schnell endete diese ganz einzigartige englische Kunst, die dort nahezu eine Weltanschauung gegen den verstockten Akademismus gewesen war. Über mehrere Künstler gelangte die Kunst des Aquarellierens dann nach Frankreich, ohne hier aber – selbst im Impressionismus – gleiche Bedeutung zu erlangen wie die Tafelmalerei. Anders in Österreich. Ein Aufblühen des Kunstinteresses nach den Kriegsjahrzehnten der napoleonischen Kriege, auch der materiellen Entwicklungen im Kaiserreich und ein Entfalten eines gemütvollen Patriotismus, der die Schönheit der eigenen Heimat immer stärker schätzen ließ, brachte den Aufschwung eines neuen künstlerischen Realismus. Das Aquarell wurde sein ideales Medium.
Es ist daher eben hier in Wien garnicht ungewöhnlich, daß eine Malerpersönlichkeit sich in der Aquarellkunst besonders profiliert. Wie aus der Schilderung des Lebens und Werkes von Sergius Pauser schon sehr deutlich zu ersehen – und ich vermag hier kaum mehr, als einige Punkte zu unterstreichen – war die Begabung und Fähigkeit des blitzschnellen Erfassens einer Gegebenheit, die man als Grundvoraussetzung für den Aquarellisten nennen könnte, ihm von Natur aus gegeben. Wie sein Freund, der Gartenarchitekt Rudolf Hirschmann, zu berichten weiß, erinnert er sich, als Knabe mit Sergius Pauser spaziert zu sein, der alles zeichnete was er sah: „Wie machst Du das?“, fragte er, und Sergius antwortete: „Ja, da geh´ich und wenn mir was gfallt, zeichne ich´s.“ So blieb es auch; der spontanen, unmittelbaren Gestaltung des Wahrgenommenen entsprach ganz natürlich besonders das Aquarell. Nun war, nach allgemeiner Aussage, der Künstler einer, der eher lieber grundsätzlich schwieg von den Dingen, als daß er über sie redete und er hat sich auch nur sehr ungern durch Zuschauer bei der konzentrierten Arbeit mit den Wasserfarben stören lassen. Er hat auch dieses Malen mit den verfließenden Farben, mit dem nassen Pinsel in die nasse Fläche oder in eine andere Farbe gemalt, nicht unterrichtet oder erläutert. Ein einziges Mal, und das auf Wunsch, hat er ein Blatt, eine Fassung des Hafens von Shanghai, vor seinen Studenten der Akademie gemalt und das war durchaus veständlich: das Entscheidende an einem Aquarell kann wohl kaum gelehrt werden. So einfach eben die Spontaneität erscheint, so kompliziert ist sie, erfordert sie doch korrekturlose Sicherheit und – durch das rasche Trocknen – höchste Eile. Pauser sagte daher auch, daß das Aquarell das Schwierigste sei, was in der Malerei existiert. Es gäbe nur Übung und immer wieder Übung, verbunden mit Erfahrung und dann – Glück.
Die Aquarellmalerei des 19. Jahrhunderts hatte in Österreich in der diesen gesamten Zeitraum umspannenden Erscheinung des Rudolf von Alt eine besondere Prägung erfahren. Damit war auch der Boden für das Verständnis solcher Werke hier weit besser bereitet als anderswo. Dennoch – und das liegt an der dramatischen geschichtlichen Entwicklung – entstanden im 20. Jahrhundert die Hauptleistungen der Aquarellkunst Österreichs nicht im eigenen Lande: Oskar Kokoschka schuf in den Zwanzigerjahren Wasserfarbenmalereien von höchstem Rang in Dresden und Wilhelm Thöny in den Dreißigerjahren solche in Paris und New York. Es war Sergius Pauser, der dem Wiener Aquarell in den darauffolgenden Jahren hier wiederum Hauptwerke beitrug. Wie an anderer Stelle ausgeführt, war der große Erfolg, den die Wiener Secession im Jahr 1938 in München erzielen konnte, in hohem Maße auch der Erfolg des Wiener Aquarells von der Hand Pausers. Es verdient schon besondere Beachtung, daß ein, dem Hauptfach eines Künstlers gegenüber, der in seiner akademischen Lehrtätigkeit so ganz andere Dimensionen ausfüllte – Spachteltechnik, Mischtechnik, große Leinwandformate – eigentlich bescheiden zurückgehaltener persönlicher Nebenzweig seines Schaffens sich immer wieder als Hauptsache erwiesen hat. Pauser blieb zeitlebens einer naturalistischen Kunst verpflichtet; eben diese Verbindung einer konservativen Grundhaltung der sichtbaren Welt gegenüber mit echter Modernität, was soviel heißt, wie immer neu und immer noch lebendiger diese Welt zu erfassen, ist für den Künstler charakteristisch. Die Schilderung mag dafür sehr deutlich sein, daß er kaum je mit einer vorgefaßten thematischen Absicht an einer Landschaft oder an ein Sujet überhaupt heranging, sondern daß er vielmehr sich immer erst von einem optischen Eindruck, einem Motiv selbst, anregen ließ.
So sei er, oftmals sehr intensiv Ausschau haltend, die Hände immer wieder zu einem Sucher formend, durch die Landschaft gegangen, um sich plötzlich dann vom Motiv anspringen zu lassen. Man macht sich viel zu selten bewußt, daß eben beim Aquarell mit seinem raschen Zupacken bereits der vorangehende Prozeß der Wahl eines Themas ein wesentlicher Teil des schöpferischen Vorganges ist. Eben dabei darf der Künstler sich und anderen nichts schenken. Wie erläuternd, wenn Schwedens Botschafter Eric von Post beschrieb, als er Pauser in sein Haus nach Båstad geladen hatte und er gerne eine gemütliche Plauderstunde in der Zeit der hellen Abende mit ihm erlebt hätte; doch dazu kam es nicht, Pauser war, kaum daß die Abendmahlzeit eingenommen war, schon wieder „draußen“, um die Lichtstimmungen in Aquarellen zu malen. Dieses ununterbrochene Suchen mit feiner Witterung und allen geöffneten Poren einer Erlebnisbereitschaft ist eben die Voraussetzung. Dann aber nicht minder das sich Offenhalten für die Natur. Nur aus dieser Sensibilität vermögen dann Farbe, Form, Gestalt wieder anderen zum Erlebnis zu werden. Eine andere, eben dies sehr verdeutlichende Schilderung: eine Cousine fragte den jugendlichen Sergius Pauser bei einem ihr schon sehr modern erscheinenden Aquarell, das ein Gartenmotiv in sehr gelockerter Malweise zeigte: „Was hast du dir dabei eigentlich gedacht?“ „Nichts“, antwortete er, „das hat mir halt gefallen – jetzt ist gerade die richtige Luftfeuchtigkeit, die richtige Temperatur, das Licht usw.“
Es ist mir ein persönliches Bedürfnis, dieser verdienstvollen Monographie über Sergius Pauser, wenn auch nur in wenigen Worten, so doch sehr überzeugt, die Meinung beizutragen, daß er als einer der bedeutendsten Aquarellisten Österreichs (wie ihn schon 1957 in einer Ausstellungsbesprechung Wieland Schmied apostrophiert hatte) im allgemeinen Bewußtsein verankert bleiben soll. Die Zeit ist weitergegangen, die Ziele künstlerischer oder außerkünstlerischer Art haben rasch gewechselt und nur allzu rasch vergessen lassen, daß die große Leistung immer zeitlos ist. Es hat vielleicht der zeitlichen Distanz bedurft, die das Ende einer Alleinherrschaft der Abstrakten brachte, weil sich eben deren Aufgabe als eine der Möglichkeiten erfüllt hatte. Doch umso klarer steht nun die Persönlichkeit Pausers auch und vor allem in seinem Malen in Wasserfarben vor uns, als einer der großen Aquarellisten, der Schönheit und Atmosphäre der Welt um uns, zeitlos festzuhalten und weiterzugeben verstand.
Katalog der Albertina, Wien, Aquarellausstellung Sergius Pauser, 1980