Otmar Rychlik

Otmar Rychlik, geb.1956, Dr.phil., Kunsthistoriker

Otmar Rychlik, geb.1956, Dr.phil., Kunsthistoriker


TRILOGIE DER BETRACHTUNG - ÜBER PAUSER

 

Der Stillstand der Bilder

Die Geschichte der Bilder ist auch die ihrer Geschwindigkeit oder der Folge ihrer Geschwindigkeiten. Es gibt beschleunigtere Zeitalter und sehr verhaltene, erschöpfte oder im Ausruhen begriffene. Das 19. Jahrhundert hebt mit Bildern an, die zu den beruhigtesten der Kunstgeschichte gehören. Ihre Erzählung findet sich jeweils am Höhepunkt der Entwicklung, möglicherweise am Wendepunkt, dort, wo das eine schon ein Ende gefunden und der Anfang des nächsten noch nicht begonnen hat; oder die Frauen, alle diese nachrevolutionären französischen Damen mit den leichten Hemden und verschlafenen Frisuren, sie alle ruhen und betrachten den Betrachter. Im Laufe des Jahrhunderts nimmt das Bild allmählich an Bewegung zu, die Geschichte wird nun nicht mehr im Stadium des Zeichens erzählt, sondern wieder als ein Medium des Transitorischen, als Forum der Wandelbarkeit und des Wandels, der Begebnisse und Möglichkeiten. In den religiösen Szenen der Nazarener wohl noch sehr verhalten, nichtsdestoweniger unaufhaltsam, von einem gewaltigen Drang zum Göttlichen als dem Zufluchtsort allen Bewegens begriffen, um die Jahrhundertmitte dann zunehmend profaniert und in sich kreisend, aus sich selbst geboren und in sich leidenschaftlich zurückgeworfen, steigert sich die Malerei etwa bei Delacroix und Makart zu einem reinen Stück Wiedergabe des Zeitlichen, der Geschwindigkeit und Berauschtheit ihrer Erzählung und weiter – merkwürdigerweise, denn hier findet der Bruch zwischen einer historischen und der modernen Kunst nicht statt – in die Zeitreflexionen des frühen 20. Jahrhunderts, in die Kernspaltung des Augenblicks, wie sie von den Kubisten unternommen wurde oder in die Tempoeuphorie der Futuristen. Erst die Ereignisse des Ersten Weltkrieges gebieten den heftigen Bewegungen, die oft genug über das Ziel des Bildes hinausgeschossen sind, Einhalt, die Kräfte der Expansion bedienen sich wieder des zeitlosen, illusionistischen Raumes, die Beschreibungen sprechen nicht mehr von Spannung sondern Vertiefung und die Damen schauen wieder ruhig aus den Bildern. Diesen Stillstand bezeichnet das frühe Werk von Sergius Pauser, die weitgehende Zurückgenommenheit der zeitlichen Werte zugunsten einer Verhaltenheit – wenn auch nicht Gelassenheit – der bewegten Seele und Verfestigtheit des schnellen Lebens im Augenblick der Betrachtung und der Möglichkeit, betrachtet zu werden, eine Gegenüberstellung, die sich der schnellen Besitzergreifung und einer heftigen Erwartung jederzeit und damit für immer – wenn man auch gerne sagen würde: vorläufig für immer – entzieht.

Der Mann von Welt

Pausers Themen nehmen immer Anteil an einer bestimmten Gesellschaftlichkeit, die ihr Licht auf den Künstler zurückwirft als Darsteller ihrer Betrachtung – im doppelten Wortsinn. Er malt in seinen Bildern aus, was die Vorstellung als Wirklichkeit entwirft, und nimmt wahr, was die Wirklichkeit vorgestellt enthält: den ganzen Menschen im Besitz seiner ganzen Welt. Wir finden den alten Anspruch, den Dargestellten nicht mit der Psychologie seines Wesens zu identifizieren, sondern mit dem Ausdruck seiner Bedeutung, seiner vornehmen Gesinnung und Haltung, seines Selbstbewußtseins, das als Weltbewußtsein erfahren wird; und sich der Welt bewußt geworden zu sein wird im Bild des Mannes von internationalem Format und der mondänen Dame in Betracht gezogen. Das heißt vor allem, nicht im Bild der nationalen oder regionalen Identität – sie wird nur als Folie, als Hinweis auf Herkunft verstanden – sondern unter der Voraussetzung, überall beheimatet sein zu können. Und bezeichnenderweise finden sich unter Pausers Hauptwerken der späteren und späten Zeit sowohl Porträts von hohem gesellschaftlichen Anspruch als auch Städtebilder aus aller Welt – in bemerkenswerter Parallelität zum Spätwerk Oskar Kokoschkas. So scheinen sich die Porträts kosmopolitischer Menschen der Aufsicht ihrer Städte zu verbinden, als wäre das eine ohne das andere gar nicht denkbar, der Blick über die Städte findet sich in den Augen des Künstlers für seine Modelle wieder, beides wird aus der Intensität der Distanz gegeben und beides verbindet sich im kostbaren Vortrag der Malerei. Man könnte meinen, wir sprächen von einem Phänomen des weltläufigen 19. Jahrhunderts der Gründerzeit oder einem noch viel älteren, und doch gehört es tatsächlich ganz dem 20. Jahrhundert an. Denn allein bei Rubens findet sich die Weltlandschaft – selbstverständlich, und auch dieses macht einen bedeutenden Unterschied, noch nicht die Weltstadt – neben dem Porträt des internationalen Menschen. Die großen Gesellschaftsporträtisten des 19. Jahrhunderts waren keine Landschafter – auch hier fehlt das Städtebild vollständig – und der Impressionismus nimmt das Porträt der Zelebrität nicht wahr. Es bedurfte der Objektivität der Neuen Sachlichkeit und einer präziseren Untersuchung der fragwürdig gewordenen Örtlichkeit des Menschen, um sein Bild über das Bild der Städte zu reflektieren und umgekehrt: Erst zusammengesehen stellt sich die Weltbildlichkeit als Identität der Reise dar und als Anwesenheit im geistigen Raum einer heimatlosen Zeit. An beidem nimmt der Künstler malend Anteil, Pauser im besonderen, da sein Blick ganz auf die Zusammenhänge gerichtet ist, deren dialektische Synthese im objektiven Bild vor allem ausschließt was dem subjektiven Impuls Kokoschkas noch entpsricht, nämlich das Selbstporträt, der Blick zurück auf den eigenen Menschen, an dessen Betrachtung wieder gebunden wäre, was der Mann von Welt gelöst hat.

 

Die Farben des Salons

Bei Eintritt des Lichtes nimmt die nach den Hölzern gestimmte Tonigkeit der Innenräume eine leichte Unruhe an, aber die Lichtpunkte und Farbtupfen finde sich gerahmt, teils, weil sie plötzlich aus den Bildern leuchten, teils weil sie an den Möbeln und den Paneelen der Vertäfelung und in den Kartuschen der Sessellehnen Felder aufsuchen, denen sie in steter, leichter Wanderung immer wieder begegnen: Der Salon gliedert das Licht, ist ganz dahin entworfen, seine Zufälligkeiten dem Augenblick der Ordnung anzuverwandeln – das Licht nimmt seine Bahn und erreicht Konstellationen feinster Wirkung, es beleuchtet, erleuchtet und führt im Vorübergehen wieder zurück: auf deren Eigenschaft als Bestandteil, Requisit für Auftritte und Erscheinungen, als Teil der Komposition des Bildes vom Salon, darin sich – wie gesagt – Bilder finden, deren Vorzüge an der Imagination des Raumes teilhaben, sich destilliert und verdichtet einer sehr ähnlichen Idee verbinden, nämlich augenblicklich zu sein und von der Überzeugung, daß gerade diese Augenblicklichkeit Bestand gewährt als ein immer Wiederkehrendes mit den Bewegungen des Lichtes und in den Überlegungen des aufmerksamen Betrachters. Es spricht für eine Vorstellung des Bildes, daß es mit dem Bewußtsein in die Versuchung seiner Wirkung geführt wurde, sich in einem Innenraum aufzuhalten, den Ort des Ortes anzunehmen und dort dessen Eigenschaften bis zu einem gewissen Grad auch zu teilen – während andere Bilder entstanden sind, als wären sie nur sich selbst verbunden und keiner anderen Befindlichkeit; und sie wurden auch nicht für wechselnde Empfindungen geschaffen, sondern sprechen sich in einer einzigen Stimmung und einer einzigen, vereinheitlichten Gestalt fast vollständig aus. Die Wanderung des Lichtes, das unstete Wesen der Wandelbaren Substanz wurde kaum aufgerufen, um dem Bild über die Illusion der Gegenwärtigkeit hinaus auch Zeit zu geben. Wir aber meinen eine bestimmte Situation, wie sie spätestens seit den frühen Niederländern für die Geschichte der Malerei von größter Bedeutung gewesen ist – und hier spielt der milde Schatten des Nordens seine Rolle – nämlich das Bild in den privaten Bereich aufgenommen zu haben, es hier zu genießen, wo sich die täglichen Annehmlichkeiten am ruhigsten erschließen und zur Betrachtung der Bezüge anleiten, und auffordern, übergeordnete herzustellen, den Raum im Licht erscheinen zu lassen und im Licht des Raumes den Raum des Bildes; das eine im anderen und umgekehrt: den Mikrokosmos im Makrokosmos, den Spiegel im Spiegel und die Farben in den Farben. So treten Pausers Porträts fast immer aus Räumen hervor und wenden sich Räumen zu, während seine Landschaften sich leichthin den Farben des Salons verbinden, um nicht als starre Fenster den Blick in eine ewig gleichgestimmte Natur zu entwenden, sondern das Äußere dem Inneren und schließlich dem Innersten zu überlassen.

Ausstellungskatalog Sergius Pauser, Retrospektive. Im Frauenbad, Baden bei Wien, 1986