Heribert Hutter


VERSUCH EINER ANNÄHERUNG

Die Annäherung an Erscheinungen der Kunst, ob es sich um einzelne Werke, Persönlichkeiten, Epochen oder Stilbegriffe handelt, kann mit verschiedenen, historisch entwickelten Methoden erfolgen.

Am Anfang steht die Künstlergeschichte, wie sie von Vasari zwar nicht erfunden, aber in ihrer Methodik so ausgeprägt wurde, daß er als Vater der Kunstgeschichte der Neuzeit gelten kann.

Die Betrachtung nach Stilkriterien, nach einer vermeintlichen Gesetzmäßigkeit ästhetischer Formen ist eine andere Methode, die unter Umständen auch ohne Künstlernamen auskommt. Auch hierfür läßt sich mit Winckelmann ein Ahnherr nennen.

Eine weitere Möglichkeit der Annäherung geht über die inhaltliche Aussage. Von der reinen Beschreibung, der Ikonographie, die schon immer ein Bestandteil der Kunstliteratur gewesen ist, bis zur Ikonologie, die die geistigen Voraussetzungen eines Bildes aus Geschichte, Religion, Literatur und Politik, aus Person und Gesellschaft zu ergründen sucht, reicht die Forschung, für die wieder ein Name mit Warburg genannt sein soll.

Damit sind keineswegs alle, aber die wirkungsvollsten Methoden auf rationaler Ebene für einen Zugang zu Kunstwerken genannt. Die intuitive Erkenntnis bedarf solcher Methoden nicht, kann sich aber nicht artikulieren und umgekehrt ist mit reiner Methodik, auch wenn sie sich psychologischer Analysen bedient, die Ganzheit und Wirkung eines Kunstwerkes nicht restlos erfaßt. 

Der Versuch einer Annäherung an Sergius Pauser und sein malerisches Werk nach solchen Kriterien kann natürlich hier nicht erschöpfend unternommen werden, doch sollen die Hauptakzente jeweils kursorisch betrachtet werden.

 

BIOGRAPHIE

Sergius Pauser, dessen Vorfahren vielfach Offiziere waren und eine - illegitime - Verbindung zum Adel hatten, wurde am 28. Dezember 1896 in Wien geboren. Schon früh verlor er seine Mutter, und den Berichten nach hat er sich mit der zweiten Ehe seines Vaters und der Übersiedlung nach Waidhofen an der Ybbs nur schwer zurechtgefunden. 

Schlechte Schulerfolge waren eine Folge seiner Empfindsamkeit, und zur Ablenkung von seiner Niedergeschlagenheit durfte er 1914 eine Reise nach Rom machen. Von diesem Aufenthalt stammen Aquarelle, die die Begabung des jungen Menschen deutlich zeigten. 

Doch der Erste Weltkrieg verzögerte eine regelrechte Ausbildung. Nach seiner Militärzeit, die dem Einjährig-Freiwilligen eine Karriere bis zum Oberleutnant und schwere Krankheiten brachte, versuchte er in Wien an der Technischen Hochschule und einer privaten Malschule, eine künstlerische Ausbildung zu erhalten, ging aber 1919 nach München und studierte bei den Professoren Becker-Gundhal, von Herterich und Caspar. Wirkungsvoller aber war die Einführung in die malerischen Techniken durch Max Dörner. Auf dieses Wissen konnte er immer wieder erfolgreich aufbauen. 

1924 kehrte er nach Waidhofen zurück und heiratete Anna Maria Schrey; seine und ihre Familie gaben ihm den nötigen Rückhalt zu einer intensiven, ungestörten, selbständigen Arbeit. Nach zwei Jahren übersiedelte Pauser mit seiner jungen Frau nach Wien, wurde 1927 Mitglied der Wiener Secession und konnte sich auf nationalen und internationalen Ausstellungen bewähren. Angefangen von der Albrecht Dürer-Ausstellung in Nürnberg 1928 ist seine Beteiligung an Ausstellungen im Ausland bemerkenswert: in der Neuen Sezession in München (1931 und 1933), in den Vereinigten Staaten (Pittsburgh, New York, Boston, Philadelphia 1931, 1933 und 1939), bei der Biennale in Venedig (1934 und 1936), in Paris und Zürich (1937), in Budapest (1935).

Im Inland war er vor allem als Porträtist geschätzt und wurde bereits 1928 für "das beste Frauenporträt" ausgezeichnet. 1931 folgte der Ehrenpreis der Stadt Wien, 1932 der österreichische Staatspreis und 1935 die Ehrenmedaille der Stadt Budapest.

All diese äußeren Erfolge dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Situation eines freischaffenden Künstlers keine sehr sichere war und Aktivitäten erforderte, die selbst den sensiblen und oftmals depressiven Künstler zur Teilnahme an Unternehmungen wie Atelierausstellungen und öffentliche Malaktionen veranlaßten, um auf die Situation der bildenden Künstler hinzuweisen.

Aus dieser Existenzangst ist auch das Erschrecken Pausers über die "Regulierung" der Kunstausübung während des "Dritten Reiches" zu verstehen, obwohl er keinen direkten Repressionen  ausgesetzt war und nicht nur Ausstellungen beschicken konnte, ja selbst öffentliche Anerkennung fand und seine Porträtkunst nach wie vor geschätzt wurde, zog er sich künstlerisch und menschlich zurück. Dazu kam die Begegnung mit Ninon in den letzten Kriegsjahren, die schließlich 1951 zur Auflösung seiner Ehe führte.  

Diese persönliche Krisensituation hatte aber keinen Einfluß auf seine künstlerische Karriere. 1943 wurde Pauser an die Akademie der bildenden Künste in Wien berufen und als integre Person 1945/46 mit der Führung der Rektoratsgeschäfte betraut.

Mit der Aufgabe als Lehrer hatte Pauser ein Betätigungsfeld gefunden. Die Aussagen seiner Mitarbeiter und Schüler zeigen, wie ernst er diese Verpflichtung genommen hat. Sie zeigen auch, wie sehr er die Persönlichkeit des anderen respektierte, ein Respekt, den er auch seinen Modellen erwies. Sein Erfolg als Porträtmaler, der ihn zu einer Art "Staatskünstler" werden ließ, ist auch ein Erfolg seiner Achtung des Mitmenschen. Aber nicht nur der Mensch, auch die Landschaft, insbesondere die Stadtlandschaft, war ihm ein eigener Organismus, den zu erkennen und zu respektieren ihm Anliegen war. 

Sergius Pauser, der mehrmals Berufungen als Lehrer in andere Städte ausgeschlagen hatte, weil er sich seiner Heimat so stark verbunden fühlte, daß er ohne sie nicht existieren zu können glaubte, hat auf Reisen - nach Paris, Istanbul, Shanghai - Städteporträts gemalt wie seine Bildnisse von Menschen: der Erscheinung nachgehend, ohne sie zu überdeuten, der Wirklichkeit folgend, ohne seine Handschrift zu verleugnen. Sein Interesse galt aber mehr dem persönlichen Bereich, der österreichischen Landschaft, den Menschen seiner Umgebung, Künstlerfreunden, denen er sich auch in der Innviertler Künstlergilde anschloß, und seiner neuen Familie, die mit der 1955 geschlossenen Ehe mit Angela Müller, der vier Jahre später ein Sohn entsproß, einen Rückhalt bot, der ihn die Kontroverse um die "Modernität" seiner Kunst auf der einen Seite, die Banausität mancher offizieller Stellen andererseits übergehen ließ. Die nach vielen anderen öffentlichen Aufträgen ergangene Aufgabe, das "Geburtsbild" der österreichischen zweiten Republik zu malen, wurde ihm entzogen. Es klingt wie schlechtes Gewissen, daß sich die Ehrungen in den nächsten Jahren häuften. Ehrenkreuz für Verdienste um die Republik, Kulturpreis des Landes Niederösterreich und Ehrenmedaille der Stadt Wien sind einige der Ehrungen, die ihm zugeteilt wurden. 

Diesem offiziellen Leben steht ein sehr privates gegenüber, das mit offensichtlicher Liebe sich den kleinen Dingen widmete. Sein Haus in Traunkirchen ist voll solcher Zeugnisse. Ob es die handwerklich perfekte Fertigung praktischer Gegenstände oder die liebevolle Bemalung von Spanschachteln bis zu Schützenscheiben ist, das Streben nach Harmonie, das in seiner Jugend zu Komplikationen geführt hatte, ist in diesem Bereich humorvoll verstärkt genauso wie in seinen Werken der "Hochkultur" merkbar. Sein Tod am 16. März 1970 war ein Schnitt in ein sich erfüllendes Leben, das von einem Zeitgenossen bezeichnet wurde als Ausdruck einer hohen Ethik in Form, Farbe und Harmonie.  

STIL 

Die Ausgangsposition der Kunst von Sergius Pauser ist ein akademischer Zeichenstil, wie er sich in der Aufnahmearbeit für die Münchener Akademie deutlich präsentiert. Aber schon die Münchener Lehrjahre brachten unter dem Eindruck der zweiten Generation der deutschen Expressionisten eine Befreiung aus der naturalistischen, technisch exakten, gleichsam "objektiven" Betrachtungsweise. Vor allem die Bedeutung der Farbe als eigenständiger Faktor wird ihm klar. 

Eine weitere Anregung war zweifellos die "Neue Sachlichkeit". Die gewissermaßen objektivierte Dinglichkeit der Gegenstände - und als solche werden auch Menschen betrachtet -, die Luft zu Körper, Raum zu Fläche macht, ist sicherlich ein wesentlicher Anstoß für Pauser gewesen. Doch setzte er sich von den dogmatischen Ansprüchen ab mit einer Sensibilität der tonigen Farbigkeit, die dem "milden" österreichischen Charakter mehr entspricht. Eine weitere Quelle seiner Kunst ist die Kenntnis einer "altmeisterlichen" Technik, die er durch den Nestor der Techniken, Max Dörner, kennengelernt hatte. Stilistisch ist Hans Holbein der unmittelbare Anreger und von den späten Zwanzigerjahren an bis in die letzten Jahre ist diese Methode ein Ausdrucksmittel, das Pauser sowohl für sich als auch als Lehrer für seine Schüler als relevantes Mittel der Darstellung beibehalten hat. 

Schließlich ist die freie Verwendung der Farbe in der materiellen Form der Spachtelarbeit und in der vertriebenen, verfeinerten der Lasur ein weiteres Kriterium für die Arbeiten Pausers. Es ist bezeichnend, daß es für viele Porträts zwei Fassungen gibt, eine der exakten Wiedergabe und eine der "freien" Umsetzung im Sinne eines Spätimpressionismus - abermals gebändigt durch die "österreichische" Milde, die Extreme vermeidet, aber Anregungen durchaus positiv aufnimmt. 

Es ist für Pausers Sensibilität bezeichnend, daß er dem Schock der Dadaisten in den Zwanzigerjahren ebenso ausgewichen ist wie der Anforderung der Abstrakten, nur aus Farbe und Form zu gestalten. Dennoch sind in den späteren Bildern formale Passagen zu erkennen, die bis in die Nähe des Tachismus führen. 

Pauser hatte also immer ein Auge auf die neuen Möglichkeiten der Malerei - und für seine Schüler diese Aspekte durchaus respektiert -, aber für sich eine strengere, der Tonalität und der Realistik entsprechende Formulierung gesucht. "Ja, wenn er expressionistisch oder impressionistisch malte", klagt Gütersloh provokatorisch, dann wäre er einordbar in das Stilgefüge des zwanzigsten Jahrhunderts. Aber er entzieht sich einer Nomenklatur, er "malt wahr" und verfolgt einen Realismus mit unrealistischen Mitteln. 

 

INHALT

Der bedeutendste Porträtist unseres engeren Raumes - hat Gütersloh in seiner Laudatio auf Pauser anläßlich der Verleihung des großen österreichischen Staatspreises am 17. Dezember 1965 gesagt, und fügte als Begründung hinzu: "Dank weiser Beschränkung auf die gesetzmäßige Ordnung des Abzubildenden". 

Damit ist an dem wichtigsten Thema der Malerei Pausers, dem Porträt, neben dem noch der Landschaft, auch der Stadtlandschaft, breiterer Raum zugeteilt ist, eine grundsätzliche Aussage gemacht, die nicht nur die formalen Lösungen betrifft. Auch in den Inhalten der Bilder Pausers herrscht eine "weise Beschränkung". In der ruhigen Zueinanderordnung der Objekte klingt ein Thema an, das eigentlich nicht malbar ist: die Stille. 

Vor diesem Generalbaß müssen symbolische und allegorische Deutungsversuche der Stilleben und mancher figuraler Darstellungen zurückstehen. Still sitzt das Kind mit gesenkten, wie geschlossen wirkenden Augen vor einer Ansammlung kunstgewerblich gestalteten Spielzeugs. Einzig die Maske ist ein Motiv, das, auch in anderer Gestalt, in weiteren Bildern eine Rolle spielt. Das Verbergen, Sichverbergen, wird durch die Maske erreichbar. Es ist bezeichnend, daß es in der Frühzeit wohl einige Bilder gibt, die als Selbstdarstellungen deutbar sind, aber keine Selbstporträts im eigentlichen Sinn. Eine gewisse maskenhafte Verschlossenheit zeigen viele Bildnisse, auch wenn sie nicht der strengen formalen Geschlossenheit der Frühzeit folgen. Ruhig sitzend, den Blick am Betrachter vorbei oder durch ihn durch gerichtet, vermitteln auch sie den Eindruck der Stille. Eine Gestik, wie beim Bildnis des Schauspielers Rudolf, ist Ausnahme. Ein Attribut, wie bei den Rektorenporträts die Amtskette, ist mehr Bestandteil der sichtbaren Welt als Symbol. 

Auch unter den Landschaften dominieren die "Stillen Bilder". Selbst Gewitterwolken sind in sich ruhende Kraft, die Figuren auf Wegen und Plätzen, auch in den wirbeligen Städten, sind beruhigt, keine Aggression ist fühlbar. Die Dynamik in einem Pferderennen, einem Tennisturnier ist zurückgenommen in die Ruhe eines "Standbildes", die Tätigkeit in den Bildern aus der Arbeitswelt durchbricht nicht die gebaute Ruhe der Komposition. Besonders deutlich wird diese Grundhaltung in den meist menschenleeren Aquarellen. 

Eine Ausnahme scheinen die "Traumbilder" zu sein, die aus bekannten Motiven assoziieren, denen ein unrationales Zueinander innezuwohnen scheint, das aber sich weder der "Traumdeutung" entzieht, noch die Geschlossenheit einer Bildeinheit verläßt. Pausers Bildinhalte sind also weniger nach den ikonographischen Kriterien, sondern mehr nach einer psychologischen Grundhaltung zu beurteilen. 

 

Aus dem Ausstellungskatalog Sergius Pauser, Retrospektive, Frauenbad, Baden bei Wien, 1986, Niederösterreich-Gesellschaft für Kunst und Kultur