Erwin Mitsch

Ausstellungskatalog der Albertina, Wien, 1980

Ausstellungskatalog der Albertina, Wien, 1980


Im Ausstellungskatalog der Albertina, Wien, 1980

In einem dem Wiener Kunstkritiker und Schriftsteller Johann Muschik gegebenen Interview, das im Dezember 1959 in der Zeitschrift „Tagebuch“ unter der Überschrift „Die eine und die andere Seite“ veröffentlicht wurde, setzt sich Sergius Pauser in überraschend positiver Weise mit den neuen Strömungen der Malerei auseinander. Er spricht von deren bisher unbekannten neuen Möglichkeiten, welche die Maler der älteren Generation oft an sich selber zweifeln lassen, und schließt daran ans sich die Forderung nach Auseinandersetzung mit der Moderne. Dies sei die eine Seite. „Auf der anderen Seite aber“, so fährt er fort, „glauben wir uns noch immer dazu verpflichtet, das Gewachsene, von alters her Gewordene zu bewahren, das, was die Öffentlichkeit noch immer von der Malerei fordert, zu erfüllen“, denn „der Baum und die Landschaft und die Erscheinung des Menschen, die schon so oft und so gut gemalt wurden, sie fesseln immer noch, lassen einen nicht los, es ist, als träten sie immer wieder neu vor einen hin…“ Diese gedrängten und präzisen Aussagen muten an wie ein künstlerisches Programm. Pauser formuliert es am Höhepunkt seines Schaffens, als er bereits zurückblicken konnte auf ein reiches, um 1920 begonnenes Lebenswerk, das von vielen Anerkennungen und Ehrungen begleitet war und schließlich im Jahre 1943 zur Professur an der Wiener Akademie für bildende Künste geführt hatte. Man  spürt aus diesen Worten nicht nur die Summe langer Erfahrungen und daraus gewonnener Überzeugungen, sondern sie geben zugleich einen Schlüssel zum Verständnis seines künstlerischen Werkes.


Pauser war kein Revolutionär und hat sich auch nicht als solcher verstanden. Er bekennt  sich zur Tradition, die er als eine in die Gegenwart hineinwirkende, sich stets erneuernde, lebendige Kraft versteht. Die Natur ist für ihn faszinierend und unausschöpfbar, mit immer neuen Augen zu entdecken. Indem er sich ihr als Künstler demütig anvertraut, vermag er auch Züge seines eigenen Wesens zu erkennen und bildnerisch zu gestalten. Thomas Bernhard schreibt über den Maler: „Von Sergius Pauser… habe ich Meditationen beispielsweise über Adalbert Stifter gehört, wie ich sie von niemandem gehört habe, er war ein Entdecker der verborgensten Empfindsamkeiten des Poetischen, ein liebevoll-wachsamer Rutengänger über der Landschaft der Weltliteratur, ein Philosoph und ein durch und durch künstlerischer Charakter.“

Das malerische Werk des Künstlers wurde erst vor wenigen Jahren in einer groß angelegten Monographie einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht (R. Feuchtmüller: Sergius Pauser, mit Beiträgen von A. P.Gütersloh und W. Koschatzky, Wien 177). Neben einem Œvrekatalog sämtlicher Ölbilder enthält sie auch eine kleine, aber repräsentative Auswahl an Aquarellen, über die W. Koschatzky einleitend bemerkt: „Es verdient schon besondere Beachtung, dass ein… eigentlich bescheiden zurückgehaltener persönlicher Nebenzweig seines Schaffens sich immer wieder als Hauptsache erwiesen hat.“ In der Tat gibt es nicht wenige Stimmen, die im Aquarell die bedeutendste Leistung des Künstlers erkennen wollen. Eine eingehende wissenschaftliche Untersuchung und Dokumentation blieb ihm dennoch bisher versagt. Die gegenwärtige, durch Umfang als auch Sorgfalt der Auswahl wohl wichtigste Ausstellung auf diesem Gebiet versucht einen geschlossenen und chronologisch geordneten Überblick über Pausers Lebenswerk als Aquarellisten zu geben und zu weiterer Beschäftigung mit diesem anzuregen.

Das Aquarell bei Pauser reicht bis in die Anfänge seiner künstlerischen Tätigkeit zurück. Als er 1914, knapp 17jährig, mit Freunden eine Osterreise nach Rom unternahm, brachte er Aquarelle mit nach Hause, die in Roms Gärten entstanden waren. Die frühesten Blätter dieser Ausstellung aber stammen aus seiner Studienzeit an der Münchner Akademie. Gemessen am späteren Werk sind es, besonders im Hinblick auf die Wahl der Themen, ungewöhnlich und wenig charakteristische Arbeiten. Der Künstler interessiert sich, der Akademietradition folgend, für die großgesehene menschliche Figur und setzt sich mit dem Bildnisauseinander, das er mit spitzem, trockenem Pinsel mehr zeichnend als malend zu bewältigen trachtet. So sehr das Bildnis seine Ölmalerei geprägt hat –Pauser wurde zum wichtigsten und beinahe konkurrenzlosen Porträtisten bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens -, so gering war dessen Bedeutung für das Aquarell. Die Gründe dafür sind leicht einzusehen, bedenkt man die enormen Schwierigkeiten, die diesem Thema von der flüchtigen Spontaneität der Technik her erwachsen. Der Künstler selbst hat sich mehrmals in diesem Sinne geäußert, und die wenigen grafischen Bildnisse seiner Hand sind in Pastell oder Bleistift ausgeführt und nur auf ausdrücklichen Wunsch der Besteller entstanden.

Als Fremdkörper innerhalb des Gesamtœvres empfindet man auch das „Traumbild“, eine kleinformatige, aquarellierte Tuschezeichnung und wie manche sehr persönliche frühe Blätter nur „Sergius“ signiert. Ihr außergewöhnlicher Bildinhalt, aber auch die Art der künstlerischen Gestaltung rufen Assoziationen an das Frühwerk Alfred Kubins wach, das dieser um 1900, gleichfalls in München, geschaffen hat. In einer traumhaften, surrealen Welt spielt sich eine poetisch verbrämte Katastrophe ab: Ein Schwebender verliert seine angeschnallten Flügel und stürzt ab, Haus und Kirche fangen Feuer und brechen im Sturmwind auseinander. Andere verschlüsselte Bildmetaphern sind ein angesägter Taubenschlag, eine Zwirnspule und ein Mönch, der die Glocke läutet. In dieser nur schwer deutbaren Vision scheint eine seelische Grunddisposition des Künstlers Gestalt anzunehmen, die ihre Spuren auch in den Krisen  und Erschütterungen seines Lebens hinterlassen hat, wie uns ihm nahe stehende Menschen und Biografen berichten. Das „Traumbild“ bleibt übrigens nicht das einzige Zeugnis dieser Art. 1937 entsteht das Gemälde „Katastrophentraum“, und zu Kriegsende 1945 malt der Künstler unter dem Eindruck sinnloser Zerstörung das Bild „Katastrophe – Niemals vergessen“. Angesichts dieser Phänomene mag es überraschen, in Pauser den Menschen „der Ordnung, der gesicherten und selbstbewussten Existenz“  (Haybach) zu erkennen. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass Ordnung und Harmonie, Ruhe und Gemessenheit sein Werk prägen und diese Qualitäten sich dem Betrachter vor allem mitteilen.

Mit seinem Übergewicht an Zeichnungen gehört das „Traumbild“ streng genommen nicht in den engeren Bereich des Aquarells. Aber auch dieses selbst löst sich in seinen Anfängen nur allmählich und zögernd von der Vorherrschaft der Linie. Auf den zeichnerischen Charakter des Knabenporträts von 1920 wurde bereits hingewiesen. Das kleine 1921 datierte Aquarell „Am Seeufer“ ist farbig zwar großzügig angelegt, kann aber auf eine vorbereitete Bleistiftskizze noch nicht verzichten. Derartige Vorzeichnungen in Graphit oder Kreide, die der Komposition ein gewisses Maß an Strukturfestigkeit verleihen, sind für Pausers frühe Aquarellversuche charakteristisch, werden aber bald abgelöst durch einen Linearismus der reinen Farbe, welcher eine verwandte Funktion übernimmt. In dem Maß, wie sich die spezifischen Qualitäten des Aquarells entfalten, gewinnt diese auch an Selbständigkeit gegenüber dem Gemälde. Das Motiv der Kakteen am Atelierfenster, in welchem sich des Künstlers Berührung mit der “Neuen Sachlichkeit“ besonders deutlich spiegelt, wurde im Jahr 1926 sowohl als Ölbild als auch Aquarell in ähnlicher Weise gestaltet. Dem 1939 entstandenen, durch die Unmittelbarkeit des Bildausschnittes und seinem lebhaften Wechsel von Licht und Schatten besonders impressionistisch wirkendem Blatt „Tennisturnier in Gmunden“ haftet noch eine gewisse Schwere und Gedämpftheit der Farbe an. Seine Hell-Dunkel-Kontraste werden durch die Anwendung von Deckweißhöhungen (denen auch weiterhin große Bedeutung zufällt) noch unterstrichen und gesteigert. Im Vergleich dazu hat im Aquarell „Gartenterrasse von Schloss Matzen in Tirol“ von 1935 die Farbe eine geradezu strahlende Helligkeit und Transparenz gewonnen. Jede Spur von Tonlosigkeit ist von ihr gewichen, das Licht in einem bisher unbekannten Ausmaß einbezogen. Pauser entwickelt sich in den frühen 30er Jahren zu einem bedeutendem Koloristen, seine Farbe blüht auf und erhält die Leuchtkraft funkelnder Kristalle. Zugleich wird der Farbauftrag lockerer, der Pinselduktus temperamentvoller und bewegter.

Die für einen Neubeginn der österreichischen Malerei so wichtige Zeit nach 1945 setzte auch im künstlerischen Schaffen Pausers neue Akzente. Nach dem kurzen Intermezzo altmeisterlicher Feinmalerei (die im Aquarell keinen Niederschlag gefunden zu haben scheint) knüpft er wieder an seine barock dynamische Malweise der Vorkriegszeit an. Wie schon eingangs erwähnt, war der Künstler neuen Bestrebungen durchaus aufgeschlossen, sofern sie seinen eigenen künstlerischen Intentionen entgegen kamen und förderlich sein konnten. Begünstigt wurde dies zweifelsohne durch seine impressionistische Naturauffassung und die damit verbunden Großzügigkeit der Gestaltung, die sich nicht in der realistischen Wiedergabe von Details verlor. Die Anwendung summarischer Formkürzeln steht durchaus in einer gewissen Affinität zu manchen Erscheinungen der abstrakten Kunst. Auch die menschliche Figur, die im Aquarell Pausers eine untergeordnete Rolle spielt und zur reinen Staffage wird, ist in solchen Tendenzen nicht im Wege. Nur ausnahmsweise erlangte sie tiefere Bedeutung wie in den beiden Industriebildern „Lederfabrik“ und “Hochofenabstich“, deren nahverwandte Vorläufer in die 30er Jahre zurückreichen. Eine Sonderstellung nehmen auch die beiden Pastellskizzen für das Staatsvertragbild ein, die eigentlich impressionistische, unter veränderten Lichtverhältnissen geschaffene Kompositionsstudien für ein im Detail vorzubereitendes Gruppenporträt darstellen. Für die Rezeption neuer Formvorstellungen besonders geeignet erweisen sich aber das Landschafts- und das Städtebild, von denen letzteres in der neueren, österreichischen Malerei zu Höchstleistungen geführt hat, man denke nur an Oskar Kokoschka und Wilhelm Thöny. Mit seinen Städtebildern von Paris, Istanbul und Schanghai lieferte auch Sergius Pauser einen wichtigen Beitrag zu diesem Thema. Die jeweils von einem erhöhten Blickpunkt aus aufgenommenen Stadtveduten erschienen aufgelöst in zahlreiche Farb- und Formpartikel, zugleich aber wieder zusammengefasst durch übergeordnete Linienzüge. R. Feuchtmüller hat von ihnen treffend als Weltlandschaften aus Pinselstrichen gesprochen. Nicht alle Aquarelle aber sind unmittelbar von der Natur entstanden. Der „Blick von der Notre Dame auf die Seine“ stellt die Replik eines Gemäldes dar (eine weitere, malerisch sehr freie Fassung befindet sich in Wiener Privatbesitz), und von einer Ansicht von Schanghai ist bekannt, dass sie vor Schülern der Wiener Akademie gemalt worden ist. Dieser Sachverhalt führt mitunter zu Schwierigkeiten bei der Datierung und der exakten Festlegung des Verhältnisses zu existierenden Gemäldefassungen.

Ähnlich frei ist die formale Gestaltung in Pausers reinen Landschaftsaquarellen. Seit den späten 40er Jahren etwa werden solche mit „tachistischen“ Farbklecksen übersät, die einen eigenartigen Reiz ausüben, nie aber dekorativ wirken, sondern ganz im Dienste der gegenständlichen Bildaussage stehen. (In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es verwandte Erscheinungen schon im „Traumbild“ gibt.) Eindrucksvolle Beispiele dafür sind die diversen Fassungen des Monte Baldo bei Malcesine, die sich nur geringfügig voneinander unterscheiden, aber eine stets neue Stimmung vermitteln. Auch Pausers späte Blätter sind gesättigt davon. Wie in früheren Jahren Waidhofen an der Ybbs, so wird jetzt Kritzendorf bei Klosterneuburg, wo der Künstler seit 1955 lebte, Ausgangspunkt für seine künstlerischen Streif- und Entdeckungszüge. Häufig sind es herbstliche Wald- und Gartenlandschaften, die er mit dem ganzen Zauber ihrer leuchtenden und erlöschenden Farbigkeit wiedergibt. Zu den herbstlichen Klängen treten nicht selten solche der Dämmerung, der nahenden Dunkelheit, von denen der Künstler sagt, dass sie zu höchster Konzentration und Vereinfachung anspornen und die Details zugunsten einer farbigen Geschlossenheit und Harmonie verschwinden lassen. Motive aus dem nahe gelegenem Augebieten vermitteln den atmosphärischen Reiz dieser Donaulandschaft mit einer Intensität, welche die nebelig feuchte Luft fast spürbar werden lässt. Mit sparsamen und zugleich großzügigen Mitteln sind hier dem Künstler Aquarelle von hoher Qualität geglückt, deren schwebende Leichtigkeit die Schwierigkeiten dieser Technik völlig vergessen lassen. Nicht anders verhält es sich bei den majestätischen Berglandschaften des Dachstein- und des Glocknermassivs, die Pauser, an impressionistische Gepflogenheiten anschließend, oft vom selben Standpunkt aus in ihrem Wechsel atmosphärischer Stimmungen und einziehender Nebelschwaden festhält.

Diese letzten, von einem starken Sensualismus geprägten Arbeiten machen besonders deutlich, wo Pausers eigentliche künstlerische Heimat als Aquarellist liegt. Es ist letztlich der in der österreichischen Kunst des 19. Jahrhunderts wurzelnde Stimmungsimpressionismus, zu dessen wesentlichen Kennzeichen ein neues Erlebnis des Lichtes gehört, das alle gesehene Wirklichkeit in Farbe auflöst und zu einer großartigen künstlerischen Einheit verschmilzt. Das heißt aber nicht, dass Pausers Kunst der Vergangenheit angehört. Der Künstler hat es im Gegenteil sehr wohl verstanden, diesem Konzept Tendenzen der modernen Kunst zu integrieren und sie in eine weiten Kreisen vertraute und verständliche Sprache zu übersetzen. Ähnlich dem Alterswerk großer Künstler können sich auch Stilrichtungen der allgemeinen Geschichtsdynamik weitgehend entziehen und so ihre ureigensten Möglichkeiten zu besonderer Reife und Vollendung entfalten. Das Werk von Sergius Pauser legt dafür ein eindrucksvolles Zeugnis ab.

Katalog der Albertina, Wien, Aquarellausstellung Sergius Pauser, 1980