Elke Doppler-Wagner


Sergius Pauser

 

SCHANGHAI (HUANG PU IN SHANGHAI), 1957

Am 13. Mai 1946 erscheint ein Artikel in der Welt am Montag, der ein Gespräch mit dem soeben zum Prorektor der Akademie der bildenden Künste Wien gewählten Künstler Sergius Pauser wiedergibt. Seinen Erfolg untermauert Pauser mit einer soliden malerischen Bildung: „Je mehr sich ein angehender Künstler mit den Problemen der Vergangenheit befaßt, je mehr ist er den Anforderungen der neuen Malerei gewachsen und kann nicht mehr dazu verleitet werden, in leichtfertiger Weise ´modern´ zu malen und dabei äußerlich zu werden und den Inhalt schuldig zu bleiben“.

Auch wenn Sergius Pauser nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Schülern als konservativ und in der Tradition verankert erscheinen mußte, so galt der Lehrer Sergius Pauser als Autorität an der Wiener Akademie. Sein hohes technisches Können, aber auch seine Toleranz ermöglichten seinen Schülern, ihre künstlerische Einmaligkeit zu entwickeln. Mit seinem guten Auge für Begabungen traf er seine strenge Auswahl für seine Meisterschule für Bildnismalerei. Denn ein Teil seines Lehrprogramms war auch, wie sich die einzelnen jungen Künstler gegenseitig beeinflußten und inspirierten. Ihre künstlerische Freiheit und ihre Eigenständigkeit war dem Vater vieler Maler, wie Giselbert Hocke in seinem Kondolenzbrief an die Witwe schrieb, ein großes Anliegen. 

Noch während des Zweiten Weltkriegs 1943 zum außerordentlichen Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien ernannt, fand 1947 seine Berufung zum ordentlichen Professor statt. Für kurze Zeit führte Pauser 1945 auch die Rektoratsgeschäfte der Wiener Akademie, die er ab Herbst 1945 dann neben Herbert Boeckl als Prorektor fortsetzte.

Große Faszination übten auf seine Schüler seine Erzählungen aus der Praxis aus, in denen Pauser über seine eigene Erlebnisfähigkeit berichtete. Denn nur selten ließ Sergius Pauser seine Schüler am Entstehungsprozess eines Gemäldes teilhaben. Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne hatte aber auch noch ein Literat des 19. Jahrhunderts das Wort – Adalbert Stifter, der unter Pausers Lieblingsautoren wie T. Bernhard, F. M. Dostojewskij, R. Musil, T. Mann, H. Doderer, A. Lernet-Holenia, G. Keller, A. P. Gütersloh den ersten Rang einnahm. Neben dem Sanften Gesetz Adalbert Stifters lassen sich aber auch aus den  „Nachkommenschaften“  Passagen zitieren, die durchaus in Segius Pausers Œuvre Eingang gefunden haben könnten: „… Macht nur die Wirklichkeit so wirklich, wie sie ist und verändert nicht den Schwung, der ohnehin in ihr ist, und ihr werdet wunderbarere Werke hervorbringen als ihr tut, wenn ihr Afterheiten malt, und sagt: Jetzt ist Schwung darinnen…“. Die wirkliche Wirklichkeit und nur die Natur als einzige Lehrmeisterin anzuerkennen waren für Adalbert Stifter und gleichermaßen Ferdinand Georg Waldmüller wichtige Anliegen.

Nur ein einziges Mal hat Sergius Pauser ein Bild vor den Augen seiner Schüler ausgeführt. Es war ein Aquarell, eine Technik, die besonders Sergius Pausers Fähigkeit des spontanen Erfassens und seine malerische Begabung bestätigte. Für Pauser war das Malen mit Wasserfarben das Schwierigste innerhalb der Sparte Malerei. Es gäbe nur Übung, lehrte Pauser seinen Schülern, und immer wieder Übung, verbunden mit Erfahrung und dann – Glück. Die Aquarelltechnik war auch Sergius Pausers heimliche Größe, in der er seine Spontaneität und das unmittelbar Wahrgenommene Gestalt werden lassen konnte. Sein Offenhalten für die Natur und seine Erlebnisbereitschaft fanden im Aquarell seinen unmittelbarsten schöpferischen alla prima-Ausdruck. Als einer der größten Aquarellisten Österreichs nach Rudolf von Alt demonstrierte Pauser anhand seines Motivs aus Shanghai seine Aquarelltechnik.

1956 reiste Sergius Pauser über Ulan Bator nach China, wo er auf Einladung der Akademie in Shanghai einen Vortrag über  die „Freiheit der Kunst“ hielt.  Diesen Aufenthalt nützte der Künstler, um seine Impressionen dieser Millionenstadt in Aquarell und Öl einzufangen. 

„Maler des Wienerischen“, „Magier der Farbe“, „Kunst ohne Künstelei“, „Der Gentleman als Maler“, „Ein Lebenswerk in Farben“, lauteten 1957 Artikel und Rezensionen seiner Kollektivausstellung, die anlässlich seines sechzigsten Geburtstags von der Wiener Akademie und der Gesellschaft der Freunde der Secession veranstaltet wurde. Die Personle fand vom 15. März bis 23. April 1957 in den Räumlichkeiten der Akademie der bildenden Künste Wien statt und umfasste 52 Ölbilder, 46 Aquarelle und eine Fotodokumentation sämtlicher wichtiger Arbeiten, die für die Ausstellung nicht erreichbar waren.

Besonderes Lob fanden die Kritiker für die großformatigen Ölgemälde „Blick auf Wien“ (1956), „Place de la Concorde“ (1951), „Ansicht von Istanbul“ (1950) und „Huang Pu in Shanghai“, welches Sergius Pauser gleich nach Rückkehr aus Shanghai auf Wunsch seiner Frau Angela als großes Ölgemälde ausgeführt hatte. Seine Meisterschaft auf diesem Gebiet würdigten auch die Salzburger Nachrichten vom 27. März 1957, die besonders in seinen Landschafts- und Städtebildern seine großen künstlerischen Leistungen erkannten.

Die 1950er Jahre waren auch in familiärer Hinsicht eine Zeit der Veränderung. 1951 trennte sich Sergius Pauser von seiner 1924 geehelichten Frau Anna Maria Schrey, um vier Jahre später Angela Müller zu heiraten. 1959 kam ihr gemeinsamer Sohn Wolfgang zur Welt.

Neben großen Ehrungen wie dem Preis der Stadt Wien 1955 wurde Sergius Pauser im Jahr seiner Kollektivausstellung 1957 auch das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen, dem in den nächsten Jahren noch bedeutende Auszeichnungen wie 1965 der Große Österreichische Staatspreis oder ein Jahr später das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich folgten. Mit seiner ganz besonderen Begabung, Mensch und Landschaft in sich aufzunehmen, konnte Sergius Pauser auch nach dem Zweiten Weltkrieg seine führende Stellung als Porträtmaler behaupten. Seine Frau Angela schilderte Rupert Feuchtmüller einmal, wie sich Sergius Pauser auf seinen Porträtauftrag vorbereitete:

Vor den Sitzungen, aber auch schon am Abend vorher, war Pauser voll Unruhe und Spannung, auch von Zweifeln geplagt, ob es ihm gelingen werde, die Aufgabe so zu lösen, dass sich seine Vorstellungen dann erfüllten; alles lag noch im Bereich des Ungewissen. Vor dem Modell war Pauser nie gesprächig. Er musste den Menschen, der ihm gegenüber war, erst als Maler kennenlernen. Vor Beginn des Portraitierens war ihm das „Einrichten“ beziehungsweise das „Setzen“ des Modells wichtig. Die Leinwand war immer schon vor der Sitzung vorbereitet, mit verschiedenen tonigen Farbschichten vorgespachtelt. Der Reiz des scheinbar Zufälligen regte ihn an; nie begann er sein Bild auf einer weißen Leinwand. Daher kam es, dass er auch oft seine besten Bilder übermalte: „Je besser der Malgrund, desto besser das neue Bild.“

Als bevorzugter Porträtist der österreichischen Gesellschaft malte Sergius Pauser nicht nur großformatige Bildnisse der Bundespräsidenten der Nachkriegszeit, Karl Renner und Theodor  Körner, Adolf Schärf und Franz Jonas, sondern dem Maler wurde auch die Ehre zuteil, die Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 malerisch zu dokumentieren. Seine Ölskizze schien jedoch den Verantwortlichen zu modern, sodass Robert Fuchs im Nachhinein und mit Hilfe von Fotografien mit seinem Ölgemälde der Staatsvertragsunterzeichnung betraut wurde. Als „Österreichische Tragödie“ betitelte der Kurier diese Affäre um die Ablehnung seines malerischen Protokolls.

Auch seine Landschaften sind in gewisser Weise als Porträts zu sehen. Walter Koschatzky berichtet in der Monografie Rupert Feuchtmüllers, dass Sergius Pauser während seiner Motivsuche seine Hände immer wieder zu einem Sucher formte, um den richtigen Landschaftsausschnitt zu sichten. Sergius Pauser ließ sich gerne spontan vom gesehenen Motiv inspirieren. Mit seiner besonderen Sensibilität werden Farbe und Form wieder zu einem Erlebnis für andere. Clemens Holzmeister berichtete im Nachruf vom Besuch Sergius Pausers in Istanbul, das für den Maler ein großes Erlebnis gewesen war. Von der Einfahrt in den Bosporus, das Schönste, was er je erlebt habe, soll der Maler noch viele Jahre gesprochen haben. „Und er malte es aus dem Gedächtnis“, fügte Clemens Holzmeister noch hinzu. Sergius Pausers Gabe, das Gesehene so intensiv aufzunehmen und sich mit dem gefundenen Motiv vollkommen zu identifizieren machten es dem Maler möglich, Gesehenes im Gedächtnis so zu verankern, dass er es auch nach längerem zeitlichen Abstand wahr wiederzugeben vermochte. So ist später auch sein Entgegenkommen zu sehen, als er auf Wunsch der Akademiestudenten ein Motiv von Shanghai aus dem Gedächtnis aquarellierte.

Die flüchtige Spontaneität seiner Aquarelle hat Sergius Pauser auch in sein Ölbild „Shanghai – Huang Pu“ übertragen. Es ist die überzeugende Momenthaftigkeit unter dem Eindruck des Dauerhaften, die sein Stadtporträt zu einem zeitlosen Dokument eines vergangenen Seherlebnisses macht. Huangpu ist einer der zehn inneren Bezirke der regierungsunmittelbaren Hafenstadt Shanghai mit nahezu 19 Millionen Einwohnern und liegt im südlichen Teil am linken Ufer des gleichnamigen Flusses Huangpu.

Sergius Pauser hat das pulsierende Leben in der heute bedeutendsten Industriestadt der Volksrepublik China eindrucksvoll vermittelt. Farbe und Licht bestimmen seine Gestaltung, die dem impressionistisch geführten Duktus gleichzeitig eine koloristische Expressivität und Dynamik entgegensetzt. Dabei nähert sich Pauser der Abstraktion ohne wirklich abstrakt zu sein, denn die Linie bestimmt nach wie vor sein Gemälde und gibt der Weltstadt einen übergeordneten Halt, Struktur und Festigkeit. Der Stadtteil Huangpu ist trotz der Reduktion klar auszumachen. Menschen und Fahrzeuge als Metaphern für Bewegung und Leben bleiben dabei nur mehr in Punkten und Strichen angedeutet, allein den Booten und Schiffen auf dem Huangpu wird mehr Präsenz zuerkannt. Sergius Pausers Weltlandschaften aus Licht und Farbe lassen immer wieder auch an Oskar Kokoschka denken, dessen Städtebilder bereits in den 1920er Jahren eine sehr ähnliche Bildauffassung erkennen lassen („Istanbul“, 1929). Beiden ist der hohe Blickpunkt, die Vogelperspektive eigen, und sowohl bei Oskar Kokoschka als auch bei Sergius Pauser kommt dem Wasser in Form eines Flusses oder Meeres innerbildliche Bedeutung zu.

Sergius Pauser blieb aber selbst in seinen expressionistischsten Werken gleichzeitig auch wieder der Tradition verhaftet, die er mit der lebendigen Gegenwart zu vereinen wusste. Der Maler Sergius Pauser hat es verstanden, Tendenzen der modernen Kunst in die Sprache der Tradition überzeugend zu integrieren. Von seinem expressionistischen Frühwerk über seine mit vielen Preisen und Ehrungen ausgezeichnete Zeit der Neuen Sachlichkeit bis hin zu einer befreiten Farbigkeit spannt sich sein großes Œuvre. 

 

Publikation MEISTERWERKE DER KLASSISCHEN MODERNE, Galerie Schütz, Wien, 2010